Eine kurze Geschichte der Antikohlebewegung in Deutschland
Erste Proteste
Die Folgen der Kohle für Umwelt und Gesellschaft rufen immer wieder Widerstand auf den Plan – sei es gegen das Abbaggern von Dörfern, gegen Tagebauerweiterungen oder geplante Kraftwerksneubauten. Zu den ersten Kristallisationspunkten der Kohleausstiegsbewegung in Deutschland zählte die geplante Zerstörung der Lakomaer Teichlandschaft bei Cottbus durch einen Braunkohletagebau. Ab 2005 zog sie jahrelange Proteste nach sich – darunter Baumbesetzungen, Demonstrationen und juristischen Widerstand. Darüber hinaus riefen ab dem Jahr 2007 Planungen zum Bau von über 30 neuen Kohlekraftwerken in Deutschland zahlreiche Bürgerinitiativen und Umweltverbände auf den Plan. Im Rahmen einer gemeinsamen Kampagne konnten damals 17 der Kraftwerksvorhaben gestoppt werden.
Ungehorsam gegen die Kohle
Auch das geplante Steinkohlekraftwerk in Hamburg Moorburg entfachte Protest. Im Sommer 2008 richtete sich dort eine erste Massenaktion zivilen Ungehorsams gegen die Kohle – der Versuch einer Bauplatzbesetzung. Rund 700 Teilnehmende des ersten Klimacamps im deutschsprachigen Raums setzten so ein sichtbares Zeichen gegen die klimaschädliche Energiepolitik. Bilder von Wasserwerfern an einem Kraftwerksgelände kannte die Öffentlichkeit bis dahin nur von Auseinandersetzungen um die Atomkraft. In den Folgejahren wuchs im Umfeld jährlicher Klimacamps eine neue Generation von Aktivist*innen heran, die den Kohleausstieg zum Top-Thema ihrer Agenda machte. Mit ihren Aktionen im Rheinischen wie auch im Lausitzer Kohlerevier etablierten sie die Protestform des zivilen Ungehorsams in den Auseinandersetzungen um die Kohle.
Neue Strategien, neue Akteure, neue Bündnisse
Die Reaktorkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 und der daraus resultierende Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft verändert das energiepolitische Terrain. Die Nutzung der Kohlekraft wurde damit in der organisierten Umweltbewegung mehr und mehr als zentraler Konfliktstrang bei den Auseinandersetzungen um die Energiewende begriffen. Infolge dessen nahm der Austausch und die Vernetzung unter NGOs, Verbänden und Bewegungsakteur*innen ab 2013 spürbar zu.
Der Kohleausstieg gelangt auf die politische Agenda
Verstärkte Aktivitäten von Umweltorganisationen und Bewegungsaktiven trug in der Folgezeit wesentlich dazu bei, den Kohleausstieg in Öffentlichkeit, Medien, und Politik zum Thema zu machen. An Menschenketten gegen die Kohle nahmen 2014 in der Lausitz und 2015 im Rheinland mehrere Tausend Menschen teil. Ab 2015 trat mit dem Bündnis „Ende Gelände“ ein neuer Akteur auf die politische Bühne. Den Konflikt um die Kohle trägt das Bündnis an die Orte der Zerstörung: In die Braunkohletagebaue, die sie zu Tausenden mit bildstarken, fast schon ikonischen, Aktionen besetzen. Die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit für das Kohlethema, die Auseinandersetzung mit nationalen und internationalen Klimazielen und die auch in Deutschland spürbaren Klimafolgen wie Hitzesommer und Extremwetterereignisse lassen der Bundesregierung keine andere Wahl, als sich dem Kohleausstieg zu widmen. Doch statt selbst regulierend einzugreifen, setzt die Regierung im Juni 2018 eine Kommission aus Politik, Kohleindustrie, Wissenschaft, Umweltverbänden und Betroffenen ein, die den Weg in ein Zeitalter ohne Kohleverstromung weisen soll.
Zuspitzung am Hambacher Wald
Während in Berlin die Kohlekommission über den Kohleausstieg berät, droht der Energiekonzern RWE jedoch im Rheinland unwiderrufliche Fakten zu schaffen. Die letzten Reste des Hambacher Walds sollen im August 2018 dem Braunkohletagebau geopfert werden. Doch dagegen regt sich massiver Widerstand. Eine seit Jahren bestehende Waldbesetzung von Klimaaktivist*innen erfährt breite gesellschaftliche Solidarität. Der Hambacher Wald wird zu einem Sinnbild dafür, wie wenig die Politik Hand in Hand mit fossilen Energiekonzernen gegen den demokratischen Willen der Bevölkerung agiert. Zugleich steht der Wald dafür, wie ernst es die deutsche Politik mit dem Kohleausstieg nimmt. Zu Hochzeiten protestieren mehr als 50.000 Menschen gegen die Kohle und für den Erhalt des Hambacher Waldes und können ihn so vor der akuten Rodung schützen – eine Sternstunde der Zivilgesellschaft.
Kohleausstieg? Eine Baustelle
Mit einem im Juli 2020 beschlossenen Kohlegesetz steckt die Bundesregierung einen Pfad für die Zukunft der Kohle ab. Doch das Gesetz bleibt weit hinter den bereits schwachen Empfehlungen der Kohlekommission zurück. Ein Kohleausstieg, der sozial- und klimaverträglich ist, lässt damit weiter auf sich warten: Zwar sollen die bestehenden Reste des Hambacher Forst mit dem beschlossenen Ausstiegspfad erhalten bleiben, doch die Kraftwerksstilllegungen werden zum spätest möglichen Zeitpunkt ausgeführt. Im Tagebau Garzweiler soll die gesamte mögliche Kohlefördermenge abgebaut werden. Für die Abschaltung weitgehend abgeschriebener oder betriebswirtschaftlich unrentabler Kraftwerke sollen die Kohlekonzerne mit Milliarden entschädigt werden. Und auch in Zukunft sollen für den Profit mit der Braunkohle sechs weitere Dörfer vernichtet und die dort lebenden Menschen vertrieben werden. Ein solcher „Ausstiegspfad“ wird den gesellschaftlichen Konflikt um die Kohle nicht befrieden.
Text: Dr. Philip Bedall, Umweltinstitut München